Obwohl dieses Genie der Theoretischen Physik, Schöpfer der Allgemeinen und der Speziellen Relativitätstheorie, schon vor 65 Jahren verstorben ist, flammt die Diskussion um die Frage, ob Einstein Atheist gewesen sei, immer wieder auf.

Meist gleichzeitig damit wird diese Frage mit einer anderen vermengt, nämlich mit der Frage, ob Einstein religiös oder areligiös gewesen sei.

Diejenigen, die von Einsteins Atheismus überzeugt sind, können sich aus der großen Schatzkammer von Aussagen Einsteins zu diesem Thema einige herausnehmen, die seine Ablehnung eines persönlichen Gottes zu bestätigen scheinen. In einem Brief vom 3. Januar 1954 an Erich Gutkind erklärt Einstein: „Es war natürlich eine Lüge, was Sie über meine religiösen Überzeugungen gelesen haben, eine Lüge, die systematisch wiederholt wird. Ich glaube nicht an einen persönlichen Gott“. Und er fügt noch hinzu: „Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck menschlicher Schwäche, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger, aber doch reichlich primitiver Legenden… Für mich ist die unverfälschte jüdische Religion wie alle anderen Religionen eine Inkarnation des primitiven Aberglaubens“.

Aufgrund dieser beiden Aussagen Einsteins steht wohl fest, dass er kein Theist, kein Monotheist, kein Bekenner eines personalen Gottes war.

Aber damit ist das hier debattierte Problem noch längst nicht am Ende. Denn fälschlicherweise nehmen die Atheisten, die sich auf den Atheismus Einsteins berufen, an, dass mit diesem Atheismus auch die Frage nach seiner Religiosität erledigt sei. Aber das ist keineswegs der Fall. Zwar sind die große Mehrheit der religionswissenschaftlich Ungebildeten und der sogenannte Ottonormalverbraucher auch der Meinung, dass derjenige, der nicht an Gott glaubt, auch unreligiös sein müsse. Aber das ist eine Täuschung.

Man kann nämlich religiös, sogar außerordentlich und intensiv religiös sein, ohne an einen personalen Gott zu glauben. In meinem Buch „Religiös ohne Gott?“ führe ich eine Menge Aussagen von Personen an, die ich befragt habe und die sich als religiös oder sogar tiefreligiös verstehen, ohne Monotheisten zu sein.

Und eben zu dieser Kategorie tiefreligiöser Menschen gehörte auch ganz unzweideutig Albert Einstein. Vier authentische Aussagen Einsteins bestätigen das in einer keinen Zweifel zulassenden Weise.

„Meine Religion besteht in demütiger Anbetung eines unendlichen geistigen Wesens höherer Natur, das sich selbst in den kleinen Einzelheiten kundgibt, die wir mit unseren schwachen und unzulänglichen Sinnen wahrzunehmen vermögen. Diese tiefe gefühlsmäßige Überzeugung von der Existenz einer höheren Denkkraft, die sich im unerforschlichen Weltall manifestiert, bildet den Inhalt meiner Gottesvorstellung.“1

„Jene mit tiefem Gefühl verbundene Überzeugung von einer überlegenen Vernunft, die sich in der erfahrbaren Welt offenbart, bildet meinen Gottesbegriff. Man kann ihn also in der üblichen Ausdrucksweise als pantheistisch bezeichnen… nichts kann schöner sein als das Wunderbare. Wer da ohne Empfindung bleibt, wer sich nicht versenken kann und das tiefe Erzittern der verzauberten Seele kennt, der könnte ebensogut tot sein; er hat geschlossene Augen zu Lebzeiten.“2

„Meine Religiosität besteht in einer demütigen Bewunderung des unendlich überlegenen Geistes, der sich in dem Wenigen offenbart, was wir mit unserer schwachen und hinfälligen Vernunft von der Wirklichkeit zu erkennen vermögen.“3

„Das Erlebnis des Geheimnisvollen… hat die Religion gezeugt. Das Wissen um die Existenz des für uns Undurchdringlichen, der Manifestation tiefster Vernunft und leuchtendster Schönheit, die unserer Vernunft nur in ihren primitivsten Formen zugänglich sind, dies Wissen und Fühlen macht wahre Religiosität aus; in diesem Sinn und nur in diesem gehöre ich zu den tief religiösen Menschen… mir genügt das Mysterium der Ewigkeit des Lebens und das Bewusstsein und die Ahnung von dem wunderbaren Bau des Seienden sowie das ergebene Streben nach dem Begreifen eines noch so winzigen Teiles der in der Natur sich manifestierenden Vernunft.“4

Mit diesen vier soeben zitierten Aussagen Einsteins beweist er nicht nur seine Religiosität und Seinsfrömmigkeit, sondern er stellt ihr auch eines der schönsten Zeugnisse aus, die überhaupt jemals über Religiosität aus einem menschlichen Mund geflossen sind.

Aber man muss noch weiter gehen. Einsteins Religiosität ist nicht nur ein verschwommenes, romantisierendes Fasziniertsein von Natur, Kosmos, Universum, sondern die feste Überzeugung, dass uns die Natur in ihrer Fülle und Ganzheit ebenso wie in zahlreichen Details auf eine „überlegene Vernunft“, ein „unendliches geistiges Wesen höherer Natur“, einen „unendlich überlegenen Geist“ geradezu hinstößt. Eine „höhere Denkkraft manifestiert sich im unerforschlichen Weltall“ und bildet den Inhalt von Einsteins Gottesvorstellung.

Er sieht in der Natur nicht bloß das oberflächlich unsere Sinne Entzückende, sondern „eine großartige Struktur, die wir nur sehr unvollkommen zu erfassen vermögen und die einen denkenden Menschen mit einem Gefühl der Demut erfüllen muss. Dies ist ein echt religiöses Gefühl, das mit Mystizismus nichts zu tun hat.“5

Man hat aufgrund solcher Aussagen Einsteins, von denen hier noch viele weitere angeführt werden könnten, Einstein als Pantheisten bezeichnet, der also einen persönlichen Gott ablehnt, aber die Natur, das Universum in seinem innersten Kern als eine unendlich intelligente göttliche Wirklichkeit sieht.

Man könnte also Einsteins diesbezügliche Position auf die Formel bringen: Kein Atheist – kein Monotheist.

Aber auch der Pantheismus ist keineswegs ein eindeutiges Phänomen. Im Allgemeinen denkt man beim Pantheismus, dem griechischen Wortlaut entsprechend, daran, dass alles, die ganze Natur, die ganze Wirklichkeit göttlich sei.

Aber auch da muss man unterscheiden. Bekanntlich hat der Philosoph Arthur Schopenhauer den Pantheismus eine „höfliche Form des Atheismus“ genannt. Es gibt tatsächlich diesen Pantheismus, der das Universum als geniales Netzwerk aller Teile und Kräfte im All, als das Ganze aller Abhängigkeiten und Beziehungen anerkennt und darin auch den Grund dafür sieht, dieses Netzwerk im metaphorischen Sinn als etwas Göttliches zu bewundern.

In diesem Sinne hat auch der im Moment wohl bekannteste Atheist, nämlich Richard Dawkins, Einsteins Pantheismus als einen lediglich „aufgepeppten Atheismus“6 bezeichnet. Aber Einsteins Pantheismus ist von ganz anderer Art, gehört einer anderen Kategorie an. Zu seinem Pantheismus gehört, wie wir sahen, als Wesenskern das Walten „eines unendlichen geistigen Wesens höherer Natur“, das Wirken einer „überlegenen Vernunft“, die „demütige Bewunderung des unendlich überlegenen Geistes“, das Erkennen und Erfühlen „der Manifestation tiefster Vernunft und leuchtendster Schönheit“ in der Natur, das Erspüren und Erahnen des letztlich Unenträtselbaren, des unerforschlichen Geheimnisses im Zentrum dieser Natur.

Deshalb sagt auch Einstein: „Jedem tiefen Naturforscher muss eine Art religiösen Gefühls naheliegen, weil er sich nicht vorzustellen vermag, dass die ungemein feinen Zusammenhänge, die er erschaut, von ihm zum erstenmal gedacht werden. Im unbegreiflichen Weltall offenbart sich eine grenzenlos überlegene Vernunft“.7

Von dem Gott des nur metaphorischen Pantheismus, wie ihn zum Beispiel der bekannte Kosmologe Carl Sagan beschreibt, unterscheidet sich Einsteins Pantheismus wesentlich. Sagan sagt nämlich: „Wenn man mit Gott die Gesamtheit der physikalischen Gesetze meint, die das Universum beherrschen, dann gibt es natürlich einen Gott. Doch dieser Gott ist emotional unbefriedigend“.8

Man vergleiche damit den ganz anderen Sinn und Geist, der hinter der bereits zitierten Aussage Einsteins steht: „Meine Religiosität besteht in einer demütigen Bewunderung des unendlich überlegenen Geistes, der sich in den Wenigen offenbart, was wir mit unserer schwachen und hinfälligen Vernunft von der Wirklichkeit zu erkennen vermögen“.9 Es handelt sich nach Einstein um „ein Gefühl der Ehrfurcht für die in den Dingen sich manifestierende Vernunft als solche, welches nicht zu dem Schritte führt, eine göttliche Person nach unserem Ebenbilde zu formen – eine Person, die an uns Forderungen stellt und an unserem individuellen Sein Interesse nimmt“.10

Geradezu revolutionär wirkt es in Anbetracht der üblichen gängigen Entgegensetzungen von Religion und Wissenschaft, wenn der wohl genialste Kopf der Theoretischen Physik die kosmisch-mystische Religiosität zum eigentlichen Quellgrund echter Wissenschaft macht: „Das tiefste und erhabenste Gefühl, dessen wir fähig sind, ist das Erlebnis des Mystischen. Aus ihm allein keimt wahre Wissenschaft. Wem dieses Gefühl fremd ist, wer sich nicht mehr wundern und in Ehrfrucht verlieren kann, der ist seelisch bereits tot“.11

Die kosmische Religiosität, zu der sich Einstein bekennt und die er von der Furchtreligion der Naturvölker und der Moralreligion der Kulturvölker, auch des Juden- und Christentums, als höhere Religionsform absetzt, ist „die stärkste und edelste Triebfeder wissenschaftlicher Forschung“. Sie verleiht die notwendige Kraft für die „ungeheuren Anstrengungen“ und die „Hingabe“, ohne die bahnbrechende wissenschaftliche Gedankenschöpfungen nicht entstehen können. „Nur wer sein Leben ähnlichen Zielen hingegeben hat, besitzt eine lebendige Vorstellung davon, was diese Menschen beseelt und ihnen die Kraft gegeben hat, trotz unzähliger Misserfolge dem Ziel treu zu bleiben. Es ist die Kosmische Religiosität, die solche Kräfte spendet“. Für Einstein steht fest, „dass die ernsthaften Forscher in unserer im allgemeinen materialistisch eingestellten Zeit die einzigen tief religiösen Menschen“ sind, dass man „schwerlich einen tiefer schürfenden wissenschaftlichen Geist finden kann, dem nicht eine eigentümliche Religiosität eigen ist“. Kosmische Religiosität liege „im verzückten Staunen über die Harmonie der Naturgesetzlichkeit, in der sich eine so überlegene Vernunft offenbart, dass alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens dagegen ein gänzlich nichtiger Abglanz ist“. Die religiös schöpferischen Naturen aller Zeiten seien von diesem Gefühl des Staunens ebenso erfüllt gewesen wie die großen Naturforscher. Männer wie Demokrit, Franziskus von Assisi und Spinoza stünden einander nahe, weil sie von dieser kosmisch-mystischen Religiosität durchdrungen gewesen seien. „Welch ein tiefer Glaube an die Vernunft des Weltenbaues und welche Sehnsucht nach dem Begreifen wenn auch nur eines geringen Abglanzes der in dieser Welt geoffenbarten Vernunft musste in Keppler und Newton lebendig sein, dass sie den Mechanismus der Himmelsmechanik in der einsamen Arbeit vieler Jahre entwirren konnten!“12

Es gibt nach Einstein eben auch ein intellektuell-religiöses, rational-mystisches Gefühl, „welches durch das Erlebnis der logischen Fassbarkeit tiefliegender Zusammenhänge ausgelöst wird“. Natürlich sei dieses Gefühl „von etwas anderer Art als dasjenige Gefühl, welches man gewöhnlich als religiös bezeichnet“.13

Summa summarum könnte man also Einsteins tiefe Seinsfrömmigkeit als Agnostische Religiosität klassifizieren, das heißt als Bewunderung der Natur, des Kosmos und als metaphysische Offenheit für den innersten, geheimnisvollen, nie voll enträtselbaren, aber unzweifelhaft geistigen Kern aller Wirklichkeit.

Einsteins sogenannter Atheismus ist lediglich die Ablehnung eines zu anthropomorphen, zu sehr dem Menschen ähnelnden Gottes, somit von allen Formen des heute herumgeisternden trivialen Atheismus weitestens entfernt.

Daher kann Einstein auch die von vielen heutigen Atheisten geteilte Verhöhnung und Verspottung einer letzten Geheimnistiefe des Seins und Daseins nicht mitmachen, vielmehr „das Geheimnisvolle als das Schönste, was wir erleben können“, preisen, ja es sogar bezeichnen als „das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht“.14 Deshalb kann er auch ohne Probleme in seinen Texten von Gott sprechen, ohne Angst zu haben, dass seine diese Texte kennenden Leser seinen Gottesbegriff falsch verstehen. Der Sohn des berühmten Geigers Yehudi Menuhin äußert sich ebenfalls ganz unbefangen zu Einsteins Gottesbegriff. Über ein Konzert seines Vaters im Beisein Einsteins lässt er letzteren die Worte sagen: „Deine Kunst hat mir mehr als alle Wissenschaft bewiesen, dass es einen Gott gibt“.15

Schließen wir mit einer Aussage Einsteins, die adäquat seine Religiosität charakterisiert: Es bedarf „jener demütigen Einstellung des Gemüts gegenüber der in ihren letzten Tiefen dem Menschen unzugänglichen Größe der im Seienden verkörperten Vernunft. Diese Einstellung aber scheint mir im höchsten Sinne des Wortes eine religiöse zu sein“.16

Anmerkungen

1) A. Einstein, Mein Weltbild, hrsg. von C. Seelig, Zürich 1953, 70f.

2) Ebd. 71.

3) A. Einstein, Briefe. Aus dem Nachlass, hrsg. von H. Dukas und B. Hoffmann, Zürich 1981, 63.

4) Einstein, Mein Weltbild 10f.

5) Diese Aussage Einsteins zitiert R. Dawkins in seinem Buch Der Gotteswahn, 6. Auflage, Berlin 2009, 27f.

6) Dawkins, Der Gotteswahn 32.

7) Zit. nach E. Frankenberger, Gottbekenntnisse großer Naturforscher, Leutesdorf 1962, 8-14; vgl. H. Mynarek, Religiös ohne Gott? NIBE-Verlag, 3. Auflage, Alsdorf 2018.

8) Zit. nach Dawkins, a.a.O. 33.

9) Einstein, Mein Weltbild 70f.

10) „Die Idee eines persönlichen Gottes ist ein anthropologisches Konzept, das ich nicht ernst nehmen kann“. Zit. nach B. Hoffmann, Albert Einstein. Schöpfer und Rebell, Dietikon-Zürich 1976, 115.

11) Einstein, Mein Weltbild 15-21.

12) Einstein, Briefe 66.

13) Ebd.

14) Zit. nach Hoffmann, a.a.O. 297.

15) Zit. nach One Country 4 l 2000, 23.

16) A. Einstein, Aus meinen späteren Jahren, Stuttgart 1979, 47. Bibliographie

Zur Vertiefung und Erweiterung des Ganzen siehe:

H. Mynarek, Die Neuen Atheisten. Ihre Thesen auf dem Prüfstand, Essen 2010, Verlag Die Blaue Eule, ISBN 978-3-89924-302-4, insbes. das Kapitel: „Dawkins und Einstein. Dawkins‘ These, Albert Einstein sei in Wirklichkeit Atheist gewesen“, 26-54.

H. Mynarek, Religiös ohne Gott? 3. Auflage, NIBE 2018, ISBN: 978-3-947002-59-7.

Ders., Ökologische Religion. Ein neues Verständnis der Natur, NIBE 2020, ISBN: 978-3-947002-60-3.

Ders., Die Vernunft des Universums. Lebensgesetze von Kosmos und Psyche, 2. Auflage im Verlag Die Blaue Eule 2003, ISBN: 3-89924-066-9.

Ders., Wertrangordnung und Humanität, Die Blaue Eule 2014, ISBN: 978-3-89924-376-5.

Ders., Vom wahren Geist der Humanität (Zum Verhältnis von Naturalismus und Humanismus), NIBE 2017, ISBN: 978-3-947002-32-0.

Ders., Mystik und Vernunft, NIBE 2018, ISBN: 978-3-947002-56-6.

Erscheinungsdatum: 03.11.2020